Brexit-Leidensdruck noch nicht hoch genug

Londoner Finanzprofis lehnen Angebote aus Frankfurt ab
Die britische Regierung lässt keine Zweifel aufkommen: Der Brexit kommt. Und er wird den Zugang Londoner Finanzdienstleister zur EU wohl empfindlich beschränken. Selbst die mit der EU assoziierte Schweiz leidet unter solchen Restriktionen, obgleich die Eidgenossen den freien Personenverkehr zähneknirschend akzeptiert haben. Dennoch scheint die Brisanz noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein.
Londoner Kandidaten lehnen Frankfurter Angebote ab
„Kandidaten zum Stellenwechsel von London nach Frankfurt zu bewegen, ist trotz des Brexits nach wie vor schwierig“, sagt Personalberater Manuel Rehwald von Rehwald Associates in Königstein bei Frankfurt. Noch immer gebe es Londoner Kandidaten, die ein Angebot aus Frankfurt ablehnen. Dabei sei die Sprachbarriere nicht das Hauptproblem. Vielmehr beobachtet Rehwald dies sowohl bei deutschsprachigen als auch nichtdeutschsprachigen Kandidaten. „Derzeit herrscht sowohl in Britannien als auch in Kontinentaleuropa eine sehr gute Stimmung auf dem Arbeitsmarkt, so dass Kandidaten von vielen Seiten Avancen bekommen“, beschreibt Rehwald.
Vielen internationalen Bewerbern sei überdies nicht bewusst, dass in Deutschland die soziale Absicherung und arbeitsrechtliche Sicherheit viel größer als im Königreich seien. „Wenn Sie heute in Deutschland eingestellt werden, können Sie sich sicher sein, dass sich der Arbeitgeber diese Personalentscheidung gründlich überlegt hat“, ergänzt Rehwald. Das Risiko, seinen Job kurzfristig wieder zu verlieren, sei in Großbritannien deutlich höher.
Rehwald hält die Entscheidung gegen Jobangebote aus Deutschland insgesamt für sehr kurzsichtig: „Paradox ist, dass gute Kandidaten die Möglichkeit bekommen, nach Deutschland zu wechseln, noch bevor der Brexit und dessen Konsequenzen eintreten, und diese nicht nutzen.“ Voraussichtlich werde der Brexit nicht nur negative Auswirkungen auf den Vertrieb-, sondern auch auf die Produktion von Asset Management-Vehikeln in London haben.
Besonders nichtdeutschsprachige Kandidaten seien nicht über die hohe soziale und arbeitsrechtliche Absicherung und die deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten in Deutschland informiert. Rehwald kritisiert, dass es von Seiten der Bundesregierung kein ausreichendes englischsprachiges Informationsangebot für Mitarbeiter mit einem Gehalt ab 250.000 Euro aufwärts im Internet gebe. „Wenn der Bund internationale Fach- und Führungskräfte nach Deutschland locken möchte, herrscht hier eindeutig ein Informationsdefizit“, resümiert Rehwald.

Bloß keinen Job in Frankfurt

Deutsche Kandidaten drängen weiter nach London

Auch in den Karriereentscheidungen jüngerer Investmentbanker scheint der Brexit bislang keine große Rolle zu spielen. Laut Headhunter Thomas Trunk von Trunk Executive Search sei der Drang zumindest auf dem Associate- und Vice President-Level nach London ungebrochen. „In meinen Gesprächen hat das Thema Brexit noch nie wirklich eine Rolle gespielt“, meint Trunk.

Tatsächlich lägen die Gehälter in London noch immer über denen in Frankfurt. „Die Teams dort sind wesentlich größer als in Frankfurt. Die Banken werben sich die Kandidaten stärker gegenseitig ab und es herrscht eine höhere Fluktuation“, meint Trunk. Der große Wettbewerb um Talente führe zu einem höheren Gehaltsniveau als in Frankfurt.

Arbeitgeber rechnen damit, dass nur wenige Londoner zum Umzug bereit sind

Unterdessen hat so manche Bank bereits die Illusion aufgegeben, die meisten betroffenen Mitarbeiter zu einem Umzug von der Themse an den Main bewegen zu können. „Ich führe Gespräche mit einigen Banken, die wegen des Brexits Aktivitäten nach Frankfurt verlegen möchten. Die gehen davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Mitarbeiter ein Umzugsangebot annehmen wird. Sie rechnen eher damit, dann in Frankfurt neue Leute suchen zu müssen“, erzählt Headhunter Jörg Fricke von Fricke Finance & Legal in Frankfurt. „Dabei handelt es sich aber um Spekulationen, der Nachweis steht noch aus.“ Allerdings habe er kürzlich den Umzug der Europazentrale einer Bank von Wien nach Frankfurt begleitet und auch seinerzeit sei kaum jemand mitgezogen.

Arbeitgeber rechnen damit, dass nur wenige Londoner zum Umzug bereit sind

Doch ganz leer scheinen die Frankfurter bei der Wilderei unter Londoner Talenten nicht auszugehen. „Ich habe den Eindruck, dass deutsche Investmentbanken den Umstand rund um Brexit ausnutzen und aktiv wegrekrutieren, um Talente aus London zu holen”, erzählt ein junger, deutscher Investmentbanker, der gerade aus London nach Frankfurt umzieht.

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